Computersüchtig: Kinder im Sog der modernen Medien

Zu den im Titel genannten Buch von 2006 von Bergmann/Hüther aus dem Walter-Verlag ein paar Worte: Wenn man gemäß eines reißerischen unfundierten Machwerks Schreiben lernen will, ist dies das perfekte Exemplar.

Damit man das Buch dafür nicht tatsächlich selbst lesen muss, anbei drei ihm entnommene kleine Lehrbeispiele:

Schreibe so, dass jeder Widerspruch im Keim erstickt wird

Besonders gut kommt es, damit schon auf den ersten Seiten anzufangen. Mit etwas Glück wird der Großteil der Leser jedes kritische Denken dann gar nicht erst beginnen. Das geht dann in etwa so (S.13):

"Die Landschaften in einem Computerspiel haben dieselbe abweisende Härte, wie Baudelaire sie schon wahrgenommen hatte und die ihm charakteristisch für eine neue Zeit zu sein schien; ihr Licht ist eines, das nicht von der Sonne herrührt, alle Dinge glänzen aus sich heraus, und noch in ihren kalten, kristallenen Glanz ist ihre Herkunft aus der Mathematik anzumerken. Sie überspringen die Realität, und eben diese Künstlichkeit und Fremdheit macht die Computerspiele und ihre Ästhetik für Kinder und Jugendliche so verführerisch."

Man achte auf die kleinen Feinheiten: Schachtelsatz, Dichterbezug, philosophische Gedanken, Fremdwörter, verschmolzen um die These zu stützen, dass Computerwelten per se unnatürlich und fremdartig seien. Natürlich ohne Bezug zu einem Spiel (man könnte ja dann sowas wie den Sonnenaufgang in Gothic 3 erwischen und sich selbst widerlegen). Was zum zweiten Lehrstück führt:

Stelle wohlklingende unbelegte Thesen auf

Die Autoren stellen ohne Beleg die These auf, Computerspiele zögen ihren Reiz aus der Geschwindigkeit bzw. der Gleichzeitigkeit von Geschehnissen. Dies ist zwar total blödsinnig, wenn man sich z.B. rundenbasierte Spiele anschaut oder den Erfolg von gemächlichen Spielen wie Counter Strike erklären will, klingt aber gut. Außerdem: Wenn man selbst keine Ahnung hat von Spielen, also ungeübt ist, kommen sie einem sehr schnell vor, da man selbst langsam ist. Diese These dürfte also vielen Nichtspielern gefallen.
Dies schreibt man am besten so (S.14, S.16):

"Wo der Spieler sich in diese Welt einfindet, ihre Gefahren pariert und ihrer Schnelligkeit Stand hält, da vermengt er sich mit ihr, ... .Zeitlos springt das sich zerstreuende Ich durch Schocks und Trance, raumlos zerfließt es in magische Bilderwelten, die keine realitätsberzogenen Bilder und Aneignungen, sondern gleichsam seelische "Synergien" provozieren."

Die Kür: Die Lüge

MMORPGs wie World of Warcraft, aber auch kleinere Konkurrenten wie Regnum, ziehen ihren Zauber aus der fantastischen Welt, der perfekt gestalteten Frust-Lust-Spirale, und der Gemeinschaft der Spieler.
Um das zu fördern ist gerade Blizzard bemüht, eine passende Welt zu erschaffen, deren Mythen und Vergangenheit der Spieler kennenlernt oder in anderen Spielen selbst erschuf. So wird jeder, der schon Warcraft 3 gespielt hat, mir besonderem Interesse die Seuche und ihre Folgen verfolgen und nach Arthas Ausschau halten.
Sowas gleicht einem Buch, einem epischen Film, und doch ist es so viel mehr, da der Spieler als Handelnder im Mittelpunkt steht. Nur: Das darf man natürlich nicht erwähnen, ist es doch etwas positives und sympathisches, was schon beim Erfahren Lust auf diese Welt macht.

Deswegen schreibt man stattdessen (S. 18):

"Woher kommen die Seuchen? Von den Untoten. Wiese Untote? Woher kommen die, welche Ursachen, welche Katastrophe haben sie auf das Schlachtfeld verschlagen? Das sind alles unsinnige Fragen. Es gibt sie, so wie in jedem Horror-Film auch"

Besonders schön hierbei ist die unsinnige Verknüpfung mit den Horrorfilmen. Man hätte stattdessen auf Tolkien oder auf sonstige Fantasy verweisen können, aber das würde doch nicht so schön die Assoziation mit gewaltverherrlichender Scheiße heraufbeschwören (denn als solche werden Horrorfilme in bestimmten Kreisen angesehen).

Und der beste Tipp?

Nutze den Anfang. Wenn all diese Tricks und Gaunereien schon am Anfang des Buches stehen (alles Zitate aus den ersten 20 Seiten), dann erwartet der Leser gar nicht mehr, auf den restlichen 140 noch irgendetwas sinnvolles, belegtes, wohlüberlegtes oder wahres zu lesen.
Beweist man so vollkommen seine Unfähigkeit, darf man dann auch die Abteilung für neurobiologische Grundlagenforschung an der Uni Göttingen leiten.

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